Aus Fehlern wird man schlau?
Wie wir Rückschläge überwinden und daraus lernen

Jeder von uns macht Fehler. Fehler zu machen gehört zum Lernen, ja zum Leben dazu.

Aber wie gehen wir damit um?

Was machen wir, wenn es mal daneben ging? Fühlt sich nicht lecker an? Wie gehen wir mit positivem, negativem oder gar keinem Feedback um?

Das haben sich auch Lauren Eskreis-Winkler und Ayelet Fishbach, zwei Sozialforscherinnen, gefragt. In insgesamt 5 Studien fanden sie heraus:

Aus unseren eigenen Fehlern lernen wir am schlechtesten.

Die Teilnehmer ihrer Studien lernten aus persönlichen Fehlern eher wenig, aus persönlichem Erfolg dafür umso mehr. Und sie lernten genauso viel aus den Fehlern wie aus dem Erfolg anderer Menschen.

In der Versuchsanordnung war Feedback auf eine richtig gelöste Aufgabe und Feedback auf eine falsch gelöste Aufgabe beides mal gleich informativ, so dass die Probanden aus beiden Varianten gleich viel hätten lernen können. Taten sie nicht.

Tatsächlich konnten sie nur das positive Feedback annehmen und in der darauf folgenden Aufgabe umsetzen. Bei negativem Feedback war bei den meisten schon der Rolladen unten und sie lösten ihre Aufgaben in der nächsten Runde schlechter als vorher.

Aber was sagt das über unsere Psyche aus? Warum lernen wir so ungern aus unseren Fehlern?

Die beiden Forscherinnen haben herausgefunden, dass weniger das Feedback für die negativen Gefühle verantwortlich war, als vielmehr das Scheitern an sich. Es gibt uns einen Dämpfer, der uns die Lust am Lernen verlieren lässt. Dadurch sind wir weniger motiviert und werden schlechter.

Sie fanden auch heraus, welches der Mechanismus dahinter war: das Scheitern untergräbt unsere Lernbereitschaft, weil es an unserem Selbstwertgefühl kratzt. Was jetzt?

Wie können wir besser mit Rückschlägen umgehen?

Wie können wir uns motivieren, trotz Rückschlägen weiter zu machen, weiter an uns zu glauben und uns weiter zu verbessern?

Wie in einer Gesellschaft, einer Organisation oder einer Gruppe mit Fehlern umgegangen wird, ist sehr unterschiedlich. Michael Frese, Wirtschaftspsychologe an der Leuphana-Universität in Lüneburg, hat untersucht, wie in unterschiedlichen Kulturen auf Fehler reagiert wird. Oder anders gesagt, er hat erforscht, welchen Einfluss die Fehlerkultur auf das Lernen hat. Demnach landet Deutschland an zweitletzter Stelle weltweit, knapp vor Singapur.

Sind die Hierarchien (zum Beispiel im Berufsleben) stark ausgeprägt, helfen einerseits alle mit bei der Vermeidung von Fehlern. Wenn aber ein Fehler unterläuft – oder auch nur zu unterlaufen droht – fehlt es an einer offenen Kommunikation, was dazu führt, einen Misstand zu verändern, oder – falls das Kind schon in den Brunnen gefallen ist – daraus zu lernen, so Claudia Wüstenhagen in ihrem Artikel auf Zeit Online.

Aber auch eine zu hohe Fehlertoleranz hilft nicht wirklich, weil dadurch das Interesse abnimmt, Fehler überhaupt zu vermeiden. Es fehlt also der Anreiz, es besser zu machen.

Hilft positives Denken?

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Fehlerkultur in den USA viel stärker etabliert ist als in Europa. Ein lockeres “okay, was können wir draus lernen?” ersetzt dort die in Europa weit verbreitete Suche nach dem Schuldigen. Hat das vielleicht damit zu tun, dass in Amerika das “positive thinking” so populär ist?

Eher nein, meint Professorin Gabriele Oettingen, die wissenschaftlich nachgewiesen hat, dass wir mit “positivem Denken” allein unsere Ziele eher schlechter erreichen als besser. Die Annahmen “ich werde das schon schaffen” oder sich vorzustellen, wie geil es wohl wäre, der erfolgreichste Fotograf, Comedian, Autor, usw. der Welt zu sein, führt nachweislich dazu, dass unser Energielevel einbricht, anstatt dass wir vor Tatendrang sprühen würden: Erfolg Fehlanzeige.

Aber sie forschte weiter, fand heraus, was wir erreichen können, wenn wir uns zusätzlich mit der Realität konfrontieren, nannte das “mentales kontrastieren” und entwickelte zusammen mit ihrem Mann die woop-Methode (wish – outcome – obstacle – plan). Damit lernen wir nicht nur, wie wir unser Wunschziel möglichst angenehm imaginieren und ausmalen, sondern auch, wie wir mit möglichen Hindernissen – die sicher nicht ausbleiben werden – umgehen können. Indem wir im Vorhinein konkrete Handlungsoptionen festlegen, vermeiden wir, dass uns Herausforderungen auf dem Weg demotivieren. Über Jahrzehnte hat sie diese Methode erforscht, verfeinert und deren Wirksamkeit nachgewiesen.

Wie können wir eine Kultur des Lernens schaffen?

Kulturen, die gut aus Fehlern lernen, weisen bestimmte Merkmale auf, fand Michael Frese heraus: “Kulturen, in denen Altruismus und Fairness eine große Rolle spielen und in denen die Gemeinschaft wichtiger ist als das Individuum, sind … besonders gut im Entdecken und im Management von Fehlern”, so Claudia Wüstenhagen.

Das liege daran, dass Informationen rascher weitergegeben würden, Schuldzuweisungen seltener und die Ängste vor Konsequenzen geringer seien. Viele dieser Merkmale finden wir in Organisationen mit sozial flachen Hierarchien.

Aber es kommt noch etwas anderes dazu: wenn wir einen Fehler machen, neigen wir dazu, uns schlecht zu fühlen, weil wir glauben, (als Person) nicht gut genug zu sein.

Leider ist dieser Irrglaube besonders bei sensiblen Menschen weit verbreitet und sitzt sehr tief, da er sozial erlernt wurde.

Wir müssen dann erst lernen, dass wir nicht als Person für den Fehler verantwortlich sind, sondern unser Handeln und falsche Entscheidungen dazu geführt haben:

  • Auch jemand anderes hätte diesen Fehler machen können.
  • Wir hätten uns auch anders entscheiden können, hätten uns besser informieren oder unserem Kunden besser zuhören können.

Werten wir uns dagegen selbst wegen eines Fehlers ab, bleiben wir in der Schuld-Falle hängen, anstatt etwas zum Besseren zu wenden.

Die erste Lektion ist deshalb die wichtigste: richten wir unseren Fokus auf das Handeln. Fragen wir uns: “Was hätte ich besser machen können?” Etabliert sich diese Denkweise erst einmal, verhindert sie auch, dass unser Selbstwert in den Keller rutscht – und damit verhindern wir, dass wir schlechter statt besser werden.

Fehlerkultur in Organisationen

Aber reicht es, die Forderung zu stellen, Fehler dürften gemacht werden, weil sie uns helfen, besser zu werden? Hilft das einem Arzt vor einer schwierigen Operation? Hilft es dem Patienten?

Nein, aber… Es gibt mindestens zwei Massnahmen, die Artzt und Patient helfen können:

  1. wir können uns eine Umgebung schaffen, in der Fehler ohne weit reichende Konsequenzen möglich sind. Während solchen Trainings können wir mit unseren Kompetenzen wie auch mit unserer Fehlertoleranz experimentieren, um möglichst viel zu lernen, so Michael Frese.
  2. wir können eine Kommunikatonskultur schaffen, in der wir uns gegenseitig darin ermutigen und unterstützen, besser zu werden. Dabei hilft die Einstellung, dass Fehler durch nicht adequates Handeln entstehen, wir also durch kluges Handeln zu einem besseren Ergebnis finden. Und:
  3. wir können das machen, was Frese ‘Metakognition’ nennt: “…kurz darüber nachdenken, wie … [wir] auf einen Fehler reagieren und ob das hilfreich ist”.

Sich selbst und andere ermutigen zu lernen

Fassen wir zusammen:

  • in hierarchischen Kulturen funktioniert die Fehlervermeidung gut, aber das Lernen aus Fehlern gelingt schlecht
  • es fällt uns leichter, aus unseren Erfolgen zu lernen als aus unseren Fehlern
  • wir tun uns schwer, aus unseren Fehlern zu lernen, wenn wir uns als Person dafür abwerten
  • wir tun uns (aber auch) schwer, aus unseren Erfolgen zu lernen, wenn wir glauben, wir ‘seien’ erfolgreich, weil wir so ‘intelligent’ sind
  • besser ist es, den eigenen Erfolg an etwas fest zu machen, das wir “gut gemacht” haben
  • geben wir Feedback, tun wir gut daran, wenn es sich explizit auf das Verhalten/Handeln bezieht und wir (uns selbst und) den anderen als Person wertschätzen
  • es hilft, wenn wir eine konstruktive Kultur gelernt und verinnerlicht haben
  • eine konstruktive Fehlerkultur zu etablieren ist ein komplexer Prozess, der Zeit braucht. Dazu gehört auch die Ermutigung, neues auszuprobieren

Warum Wertschätzung und Anerkennung so wichtig sind

In Weiterbildungsgruppen, der Partnerschaft und bei meinen Klienten mache immer wieder eine interessante Beobachtung:

fühlen wir uns als Mensch anerkannt, wird es einfach, Missverständnisse zu klären, Konflikte zu lösen und anderen ebenfalls Anerkennung zu geben.

Sobald wir selbst einen Mangel an Anerkennung erleben, scheint unser Gehirn in einen Überlebensmodus umzuschalten, und die sozialen Umgangsformen beschränken sich darauf zu urteilen, die Schuld beim anderen zu suchen und die Person abzuwerten, die scheinbar für mein negatives Erleben verantwortlich ist.

Wenn es gelingt, ein empathisches Klima zu schaffen, nehmen auch wieder die anerkennenden Worte zu, und wir werden eher bereit, ein Fehlverhalten vom anderen zu entschuldigen und zu differenzieren anstatt zu verallgemeinern und in Schubladen zu denken.

Psychologisch können wir uns das so erklären, dass wir in Situationen, in denen es ums nackte Überleben geht, auf unser limbisches System angewiesen sind: wenn wir uns zwischen Angriff und Flucht entscheiden müssen, weil wir uns in die Enge getrieben fühlen, müssen wir uns auf unsere Instinkte verlassen. In dieser Situation über die Entwicklung einer Fehlerkultur zu diskutieren, wäre offensichtlich kontraproduktiv.

Heute sind wir aber nicht mehr auf der Flucht vor dem Säbelzahntiger. Über Jahrtausende haben wir uns zusammengerauft, unsere Sprache entwickelt und herausgefunden, wie wir uns gegenseitig helfen und voneinander lernen und profitieren können.

Wie Lernen gelingt

Unser soziales Miteinander als Menschen hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Wir haben gelernt, wem wir vertrauen können und wann es schlauer ist, uns auf uns selbst zu besinnen. Wir erleben, was möglich wird, wenn uns ein gemeinsames Ziel verbindet, wir unsere Aufgaben zusammen angehen und lösen können.

Manche unserer technischen Errungenschaften und Innovationen haben wir Forschern zu verdanken, die trotz tausend gescheiterter Versuche sich nicht haben entmutigen lassen. Manche Entdeckungen waren eher Folge eines Unfalls als einer schlauen Strategie. Einige Erkenntnisse haben wir gewonnen, weil eigentlich vernünftige Leute einfach nur rumgespielt haben.

Sie haben sich nicht entmutigen lassen. Sie alle haben etwas aus ihren Fehlern gemacht, haben weiter gemacht.

Alles hängt jetzt davon ab, den Kopf nicht hängen zu lassen. Alles hängt davon ab, voneinander zu lernen. Alles hängt davon ab, was wir draus machen.

In meinem Schlafzimmer hängt seit neuestem eine Tafel, auf der ich mir abends folgende Fragen beantworte:

  • was habe ich heute verbockt?
  • was hätte ich besser machen können?
  • was habe ich heute gut gemacht?
  • was davon möchte ich mehr machen?
  • was möchte ich neues ausprobieren?

Winston Churchill soll einmal gesagt haben:

Erfolg ist die Fähigkeit, von einem Misserfolg zum anderen zu gehen, ohne seine Begeisterung zu verlieren.

Da hat er wohl recht.
Aufstehen, Krone richten, weiter geht’s.

Let’s fuck it up and learn from it.

Herzlich,
Martin.

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Quellen:

  • Psychologie heute, April 2020, S. 6, Lauren Eskreis-Winkler, Ayelet Fishbach: Not learning from failure- the greatest failure of all. Psychological Science, 2019.
  • Psychologie: Die Kunst des Scheiterns, Claudia Wüstenhagen. Zeit.de (veröffentlicht 2013, abgerufen 22.3.2020, https://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/04/kunst-scheitern-fehler-machen/komplettansicht):
  • Gabriele Oettingen, Die Psychologie des Gelingens, Pattloch ebook 2015.
  • Keith Tudor (Publisher), Claude Steiner, Emotional Activist: The Life and Work of Claude Michel Steiner, 2020
  • Gabriele Michel & Hartmut Oberdieck: Die Kunst, sich miteinander wohl zu fühlen, Junfermann Verlag, 2007